Talentförderung im Sport – Die Oberschule zum Dom schlägt Alarm

„Die Mängel sind gravierend“

Zwei Schulklassen teilen sich die Hauptturnhalle in der Stadt. Foto: Stephan Becher

Lübeck – Die Hansestadt Lübeck mit dem Titel „Sportstadt“? Wie viel Realität steckt hinter diesem Slogan? Wenn man den aktuellen Hilferuf der Oberschule zum Dom (OzD) betrachtet, lautet die ernüchternde Antwort: deutlich zu wenig. In einem offenen Brief vom November 2023 schildert die Fachschaft Sport der traditionsreichen Lübecker Schule eine dramatische Sporthallensituation – mit deutlichen Worten, fundierten Fakten und einem Appell, der nicht länger ignoriert werden kann.

Hauptturnhalle erfüllt Mindeststandards nicht

Die 1901 erbaute Hauptturnhalle der Schule entspricht weder heutigen DIN-Normen noch pädagogischen Ansprüchen. Zwei Lerngruppen mit bis zu 60 Schülern teilen sich regelmäßig eine einzige Halle – ohne Trennwand, mit gesundheitsschädlichem Lärmpegel und völlig veralteter Ausstattung. Basketballkörbe? Fehlanzeige. Trennmöglichkeiten? Nicht vorhanden. Und dabei geht es nicht um Luxus, sondern um Mindeststandards für sicheren und qualifizierten Sportunterricht.

Besonders pikant: Trotz anerkannter Dringlichkeit wurden der Schule kürzlich sogar Hallenzeiten in der benachbarten LT-Halle gekürzt. Ausweichflächen wie der Buniamshof müssen im Winter genutzt werden – eine Notlösung, die bald wegfällt, wenn die Domschule dorthin umzieht. Die Folge: Unterrichtsausfall, Improvisation und eine pädagogische Situation am Limit. Die Oberschule zum Dom schlägt Alarm.

Die Hauptturnhalle – eher eine Gymnastikhalle? Foto: Stephan Becher

Engagement statt Ausstattung

Was die OzD dennoch leistet, ist bemerkenswert – und zeigt, woran es wirklich mangelt: nicht an Willen, sondern an Unterstützung. Die Lehrkräfte stemmen den Alltag mit kreativen Notlösungen, betreuen Kinder über den Unterricht hinaus und feiern sportliche Erfolge auf Landes- und Bundesebene. Diese entstehen durch Leidenschaft – nicht durch Infrastruktur.

Doch selbst das engagierteste Kollegium stößt an Grenzen. „Es braucht dringend öffentlichen Druck, damit sich endlich etwas bewegt“, sagt Elternsprecher Patrice Brand zu HL-SPORTS. Sein Interview (siehe unten) liefert tiefe Einblicke in die Realität der Schule – und deckt auf, wie Mythen über vermeintlich gute Bedingungen der OzD ein strukturelles Versagen kaschieren.

Individuelle Förderung trotz Hürden

Dabei ist die OzD in der sportlichen Förderung ein echtes Aushängeschild. Als zertifizierte Kooperationsschule Talentförderung Leichtathletik begleitet sie seit Jahren erfolgreiche Athletinnen und Athleten bis zu deutschen Meistertiteln und internationalen Einsätzen – stets im Einklang mit starken schulischen Leistungen. Mit einem eigenen Gesundheitszentrum, individuell abgestimmtem Training, enger Begleitung durch Fachlehrkräfte und intensiver Zusammenarbeit mit Verbänden und Vereinen bietet die Schule ideale Bedingungen – zumindest auf menschlicher und organisatorischer Ebene. Die strukturelle Basis hingegen hinkt weit hinterher. Dass eine solche Spitzenförderung trotz fehlender Hallenkapazitäten überhaupt möglich ist, darf nicht überdecken, wie dringend die OzD moderne Sportstätten benötigt, um ihrem Anspruch auch weiterhin gerecht werden zu können.

Es braucht Taten

Die Forderung der Schule ist klar: kurzfristig eine zusätzliche Sporthalle am Buniamshof, langfristig eine tragfähige Sportentwicklungsplanung, die Gesundheit, Bildung und Chancengleichheit in den Mittelpunkt stellt. Dass dies bislang ausbleibt, ist angesichts des „Sportstadt“-Slogans nicht nur widersprüchlich, sondern fahrlässig.

Die Fotomontage zeigt die Sporthalle für die Gemeinde Gennep in den Niederlanden als Idee für Lübeck. Foto/Montage: Patrice Brand/(c) Firma Spantech

Interview mit OzD-Vertreter Patrice Brand

HL-SPORTS: Wo genau liegen die größten baulichen oder funktionalen Mängel an den Sportstätten der OzD – und wie wirken sich diese konkret auf den Unterrichtsalltag aus?

Patrice Brand: „Die Mängel sind gravierend. Wir sprechen hier von gesundheitsgefährdendem Lärm, unzumutbarer Enge – teilweise 60 Kinder in einer kleinen Halle – und einer maroden Ausstattung, bei der Lehrkräfte sich mit Werkzeugkoffern, Karabinern und Spanngurten behelfen, um Netze überhaupt befestigen zu können. Es ist ein improvisiertes System auf Kosten von Qualität und Sicherheit. Der Buni ist übernutzt, Basketball ist kaum möglich, weil Körbe fehlen oder schief sind, und die Kapazitäten reichen schlicht nicht aus. All das lähmt den Unterrichtsalltag massiv.“

HL-SPORTS: Was sind die zentralen Themen im Sportunterricht derzeit – und inwiefern behindern marode oder unzureichende Anlagen eine moderne, zeitgemäße Sportpädagogik?

Patrice Brand: „Der Lehrplan wird mit großer Mühe umgesetzt – aber unter völlig unzeitgemäßen Bedingungen. Es ist ein tägliches Geschacher um Zeiten und Plätze, und viele Sportarten können gar nicht angeboten werden. Als Notlösung gibt es verlängerte Schwimmzeiten oder monothematische Halbjahre. Basketball fällt teilweise ganz aus. Das ist kein regulärer Sportunterricht mehr, das ist ein ständiger Kampf gegen die Rahmenbedingungen.“

HL-SPORTS: Wie engagieren sich die Lehrkräfte der OzD trotz dieser widrigen Umstände?

Patrice Brand: „Was das Kollegium hier leistet, ist außergewöhnlich. Sie opfern ihre Freizeit, betreuen Kinder auch außerhalb des Unterrichts und begleiten sie zu Wettbewerben. Sie stimmen sich minutiös ab, teilen sich eine kleine Halle, improvisieren bei der Ausstattung – und leisten trotzdem hochqualitativen Unterricht. Dieses Engagement ist nicht selbstverständlich und zeigt: Hier arbeiten Menschen mit echter Leidenschaft für Sportpädagogik.“

HL-SPORTS: Wie ist das Standing der OzD in der städtischen Bildungs- und Sportszene?

Patrice Brand: „Die OzD ist gleichzeitig bewundert und stigmatisiert. Die OzD steht sportlich herausragend da – und genau das sorgt seit Jahren für spannungsreichen Neid, der sich jedoch auf einem Mythos gründet. Es wird oft behauptet, die OzD habe besonders gute Bedingungen oder werde bevorzugt behandelt. Doch das Gegenteil ist der Fall.

Als Beispiel: Das Johanneum – eine Schule mit ausgewiesenem Musikzweig – verfügt über eine große Dreifeldsporthalle mit Trennwänden, zusätzlich über eine kleine, frisch sanierte Gymnastikhalle. Und: Das Sportzentrum Falkenwiese, mit moderner Infrastruktur und vielseitigen Flächen, liegt fußläufig 650 Meter entfernt.

Die OzD hingegen hat nur eine kleine veraltete Turnhalle, die regelmäßig doppelt belegt werden muss, dazu einen stark in die Jahre gekommenen Buni (Buniamshof), der 750 Meter entfernt liegt – also sogar weiter als das Falkenwiese-Zentrum vom Johanneum. Der angebliche “Lagevorteil“ der OzD ist also ein reines Phantom, eine bequeme Legende, die sich hartnäckig hält, aber jeder Überprüfung nicht standhält.

Der wahre Grund für die Erfolge der OzD ist nicht die Ausstattung, sondern das außerordentliche Engagement der Lehrkräfte, die Sport nicht als Pflichtfach, sondern als Profil leben – mit allem, was dazugehört: Wettkämpfen, individueller Förderung, außerschulischem Engagement. Und klar: Wenn sportlich begabte Kinder auf motivierte Pädagogen treffen, dann entstehen eben Erfolge.

Dass genau das als “Problem“ wahrgenommen wird, ist symptomatisch: Anstatt diese Leistung anzuerkennen, wird die OzD zum projektionsgeladenen Feindbild. Dabei geht es nicht um Privilegien, sondern um eine Schule, die mit sehr wenig sehr viel erreicht – und dringend eine faire Unterstützung verdient.“

Die Lübecker Hauptturnhalle mit Zugang vom Schulhof. Foto: Stephan Becher

HL-SPORTS: Welche sportlichen Erfolge konnte die OzD in den vergangenen Jahren feiern – und unter welchen Bedingungen sind diese Erfolge entstanden?

Patrice Brand: „Die OzD kann auf außergewöhnliche sportliche Erfolge zurückblicken – trotz extrem eingeschränkter Infrastruktur. Dazu zählen unter anderem:

– Mehrfache Siege beim Senatsstaffellauf (41 Siege seit 1990 gegenüber acht der nächstbesten Schule)

– Mehrfache Teilnahmen bei “Jugend trainiert für Olympia“ auf Landesebene und als Landessieger ebenso mehrfache Teilnahmen am Bundesfinale (15 Teilnahmen am Bundesfinale seit 2018, in unterschiedlichen Sportarten gegenüber zirka fünf Teilnahmen der nächstbesten Schule)

– Erfolge bei den Deutschen Jugendmeisterschaften in der Leichtathletik

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– Erfolge bei Deutschen Meisterschaften

Diese Leistungen sind nur möglich, weil eine hochmotivierte Fachschaft die Schülerinnen und Schülern weit über den Unterricht hinaus fördert – etwa durch zusätzliche Trainingseinheiten, Begleitung zu Wettkämpfen und individuelle Betreuung.

Dabei muss man sich klar machen: Diese Leistungen entstehen auf Grundlage von Eigenmotivation, familiärer Unterstützung und einem enormen pädagogischen Einsatz, nicht durch optimale Bedingungen. Ganz im Gegenteil – angesichts des maroden Zustands der Sportstätten ist es fast schon ein Wunder, dass überhaupt so viele Talente hervorgebracht werden. Was wäre möglich, wenn die Rahmenbedingungen stimmen würden? – Diese Frage stellt sich die OzD tagtäglich.“

HL-SPORTS: Was war der konkrete Auslöser für den Brandbrief der OzD – und welche zentralen Forderungen wurden darin formuliert?

Patrice Brand: „Der Brandbrief wurde geschrieben, weil die Zustände nicht mehr tragbar waren – und bis heute sind. Es ging vor allem um gesundheitsschädliche Lärmbelastung, Überbelegung, unterlassene Instandhaltung und daraus resultierende fehlende Umsetzung von Lehrplänen. Gefordert wurden unter anderem eine funktionstüchtige Halle, Entlastung der Flächen, sichere Sportgeräte und eine Gesamtlösung für die Sportinfrastruktur am Standort.“

HL-SPORTS: Warum wird das Thema jetzt lauter – was hat sich in der öffentlichen Wahrnehmung oder politischen Stimmung verändert?

Patrice Brand: „Weil sich am Kernproblem seit Jahren nichts bewegt hat. Eine systematische Reaktion, ein strukturiertes Gespräch oder gar eine Strategie lassen weiter auf sich warten. Die Fachschaft zeigt weiterhin großes Engagement, stößt aber zunehmend an ihre Grenzen.

Der Frust wächst – nicht aus Trotz, sondern aus berechtigter Sorge, dass wichtige Anliegen einfach versanden. Gerade deshalb wird das Thema jetzt lauter: Um sichtbar zu machen, dass es drängt. Es braucht endlich einen öffentlichen Impuls, damit aus Einzelgesprächen und losen Enden endlich eine verbindliche Gesamtstrategie wird.“

HL-SPORTS: Wie reagiert die Stadt auf die Kritik – gibt es konkrete Pläne oder Gespräche zur Verbesserung der Situation?

Patrice Brand: „Die Stadtverwaltung ist grundsätzlich offen und ansprechbar – das ist positiv und wird von der Fachschaft auch so erlebt. Es gab punktuelle Maßnahmen und Verbesserungen im Detail. Aber: Das zentrale Problem – die strukturelle Überlastung der Sportinfrastruktur, etwa zur baulichen Situation, der gesundheitlich bedenklichen Raumnutzung oder dem dringenden Mangel an Hallenzeiten – sind bislang nicht umfassend und zielgerichtet adressiert worden.

Statt einer ganzheitlichen Lösung gibt es eher kleine Maßnahmen, bei denen unklar bleibt, ob sie überhaupt im Zusammenhang mit dem Brandbrief stehen. Die große Linie fehlt.

Gleichzeitig entstehen neue Probleme, etwa durch die geplante Verlagerung der Domschule auf Flächen der OzD, ohne dass sportliche Ausgleichsflächen bereitgestellt werden. Das wirkt aus Sicht der Schulgemeinschaft wenig durchdacht – und erzeugt das Gefühl, dass die eigenen Belange nicht mitgedacht werden.

Es braucht dringend eine strukturierte, transparente Gesamtkommunikation, bei der alle Beteiligten – Schule, Stadt, Politik – an einem Tisch sitzen. Nur dann lassen sich die offenen Fragen klären und eine tragfähige Perspektive entwickeln.“

Luftaufnahme mit einer möglichen Sporthalle auf dem Buniamshof. Foto/Montage: Stephan Becher

HL-SPORTS: Welche kurzfristigen und langfristigen Lösungen schlagen die Verantwortlichen der OzD selbst vor – und wie realistisch ist deren Umsetzung?

Patrice Brand: „Die Schule schlägt ganz konkret den Bau einer modularen Sporthalle auf dem Gelände des Buniamshofs vor – als kurzfristige Übergangslösung, die aber auch mittelfristig dauerhaft tragfähig sein könnte. Diese Halle würde nicht nur die akuten Engpässe der OzD entschärfen, sondern könnte auch Grundschulen in der Umgebung sowie Sportvereinen zugutekommen, die ebenfalls dringend Hallenzeiten suchen. Auch die angespannten Kapazitäten der LT-Halle und Hauptturnhalle ließen sich damit entlasten.

Es handelt sich hier um eine realistische, finanziell tragbare Lösung, die sofort angegangen werden könnte – wenn der politische Wille da wäre.

Aber genau da liegt das Problem: Diese Lösungsideen entstehen ausschließlich, weil von Seiten der Stadt keinerlei strukturierter Dialog, keine konkreten Maßnahmen und keinerlei Transparenz erfolgt. Es ist eigentlich nicht Aufgabe der Schule oder des Elternbeirats, Grundsatzlösungen für die Infrastrukturprobleme einer Stadt zu entwickeln – aber genau das passiert, weil man sich durch die anhaltende Untätigkeit der Stadtverwaltung und die Sprachlosigkeit der Politik dazu genötigt fühlt.

Was deshalb dringend geschehen muss, ist: ein offizielles, strukturiertes Gespräch. Und zwar nicht nur mit der Schulleitung, sondern mit allen Beteiligten – der Stadtverwaltung, den zuständigen Dezernaten, dem Schulausschuss, dem Parlament, und wenn nötig sogar dem Ministerium. Es braucht endlich eine offene Lagebesprechung mit klaren Informationen, belastbaren Plänen und konkreten Entscheidungen.

Denn nur wenn alle Fakten auf den Tisch kommen, kann sich die Situation endlich verbessern – andernfalls droht die Perspektivlosigkeit in einem jahrelangen Kompetenzgerangel zu versanden. Und das würde dem Engagement der Schule und den Bedürfnissen der Kinder in keiner Weise gerecht.“

HL-SPORTS: Welche Bedeutung haben intakte, moderne Sportstätten aus Sicht der OzD für die Persönlichkeitsentwicklung, Integration und Motivation der Schüler – und welche Botschaft geht von ihrer aktuellen Situation aus?

Patrice Brand: „Sport ist an der OzD kein Beiwerk, sondern ein zentrales Element der pädagogischen Arbeit. Bewegung, Wettkampf, Teamgeist – all das fördert soziale Kompetenz, Disziplin, Verantwortung, Integrationsfähigkeit und Identität. Gerade in einer Schule wie der OzD ist Sport ein verbindendes Element, ein Raum, in dem Erfolg und Teilhabe unabhängig von Herkunft oder Schulform möglich sind. Für alle und jeden, egal ob Leistungssportlerin, Lehrsportler oder Bewegungstalent.

Doch die marode Infrastruktur sendet ein fatales Signal: “Euer Engagement ist nichts wert.“ Wer täglich erlebt, dass Netze mit Spanngurten befestigt werden müssen, Geräte kaputt sind und Hallenzeiten fehlen, verliert Motivation und Stolz. Wir brauchen Räume, die Leistung sichtbar machen und fördern, nicht solche, die Kinder ausbremsen und frustrieren.

Sonst verlieren wir genau die Talente – und damit meine ich nicht nur das sportliche Talent –, für die diese Schule seit jeher steht: Teamplayer, Mitgestalter, ehrgeizige, engagierte junge Menschen, die gelernt haben, sich anzustrengen und Verantwortung zu übernehmen. Und wenn diese Schule solche Persönlichkeiten nicht mehr fördern kann, verliert auch die Stadt ein wichtiges Stück Zukunft.“

HL-SPORTS: Vielen Dank für das Interview.

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