Lübeck – Bei dem Weihnachtslehrabend (HL-SPORTS berichtete) im Vereinshaus von Lübeck 1876 freuten sich die Schiedsrichter des KFV Lübeck über einen ganz besonderen Gast. Kein Geringerer als Babak Rafati wurde nach Lübeck geholt. Der Deutsch-Iraner leitete insgesamt 84 Bundesligaspiele und 102 Zweitligapartien und war unter anderem Torrichter bei dem Aufeinandertreffen der zwei besten Fußballspieler weltweit – Ronaldo gegen Messi, Real Madrid gegen FC Barcelona. Der ehemalige Bundesliga- und Fifa-Schiedsrichter machte 2011 traurige Schlagzeilen, als er versuchte, sich das Leben zu nehmen.

Etwa um 19.30 Uhr am Freitagabend wurde Rafati von Boris Hoffmann (Foto rechts) angekündigt. Mit Standing Ovation wurde der 47-Jährige in der Hansestadt empfangen. Er selbst war völlig verdutzt: „Ist dieser Applaus für mich? So etwas habe ich noch nie erlebt, dass ein Schiedsrichter so positiv empfangen wird. Ich bin völlig fassungslos.“ Rafati war erfreut sein Wissen an die jungen Schiedsrichter weiter zu geben. „Endlich bin ich mal wieder unter Schiedsrichtern, es fühlt sich schön an.“ Rafati ist nach seinem Suizidversuch als Schiedsrichter zurückgetreten. Er begab sich in therapeutische Behandlung und hält seit dem Vortäge zum Thema Leistungsdruck. So auch in der Hansestadt, als er seine Karriere und besonders die Schattenseiten in seinem Leben darstellte.

Er begann seine Präsentation mit dem Statement: „Die, die hier sitzen, haben es im Amateurbereich schwieriger als die in der Bundesliga. Ich weiß wovon ich spreche.“ Des Weiteren gab sich Rafati sehr selbstkritisch und klärte die jungen Schiedsrichter auf. „Ich bin ein Vorbild, dafür wie man es nicht macht.“ Der Bankkaufmann sprach über Leistungsdruck, Stress und Burnout. In der heutigen Ellbogengesellschaft sind das hochaktuelle Themen, die unter die Leute gebracht werden sollten. „Wenn mich jemand fragt, ob ich einen Startpunkt der Depression ausmachen kann, kann ich das nicht. Es sind negative Erlebnisse die zu einem wunden Punkt zusammenführen.“ Er hat seinen Vortrag als ein „Fußballspiel“ aufgebaut, dabei sprach er in der ersten Halbzeit über seine Leidenszeit und brachte zwei Beispiele mit Fehlentscheidungen in der Bundesliga, die zu seinem Leidensprozess beitrugen. In der Partie zwischen dem 1. FC Nürnberg und Borussia Mönchengladbach hatte er einen klaren Elfmeter übersehen. „Ich stand schlecht, es war mein Fehler. Daraufhin habe ich meinen „Boss“, den Beauftragten der Schiedsrichter kontaktiert. Ich habe gesagt, ich habe einen Fehler gemacht.“ Außerdem spricht Rafati über Mobbing wie zum Beispiel, dass ihm gesagt wurde „Alle dürfen Fehler machen nur du nicht, Babak.“ Für Schiedsrichter, auf die ein hoher Entscheidungsdruck und viele Beleidigungen der Fans lasten, wird man aufgrund solcher Fehler „von der Presse zerpflückt“, weiß Rafati allzu gut. Nach dieser Fehlentscheidung bekam er eine sechswöchige Pause, was für ihn eine „Qual“ war er wollte tätig sein, wollte ein Spiel pfeifen. Und nach so einer Partie im folgenden Spiel „alles wieder gut machen“. Im Aufeinandertreffen zwischen dem HSV und Mainz 05 folgte der nächste Fehler: Bei einem Hamburger Schuss prallte der Ball von der Latte auf die Linie, Rafatis Assistent entschied auf Tor – Fehlentscheidung. Der ehemalige FIFA-Schiri wusste was ihm blühte, erneut hatte er ein ähnliches Gespräch mit dem DFB-Schiedsrichterbeauftragten, es folgte eine erneute Pause. Derartige Nachrichten wie „Ruf an, sonst passiert was“, verstärkten nur die Angst und Leidenszeit Rafatis, außerdem machte es der „Zwang“ die Fehler wieder auszubaden und nach Außen stark zu wirken noch schlimmer. Er beschrieb seine Depression als Krankheit schleichenden Prozesses und durch die Fehler bekam er Selbstzweifel und der Schmerz der Krankheit vermehrte sich. „Ich ignorierte die Körpersignale – wie zum Beispiel ein Stechen in der Brust. Ich wollte nach außen, in der Öffentlichkeit, funktionieren. Als ich die Ansetzung für das nächste Spiel, Köln gegen Mainz, erhalten habe, wurde der Schmerz bis zu dem Zeitpunkt des Spiels, immer größer.“

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Die meisten Menschen, die Suizid begehen, wollen das Leben nicht beenden. Sie möchten einfach, dass der nicht ertragbare Schmerz ein Ende findet. Nicht anders war es bei Rafati, der sich nur zu gut an den Suizidversuch erinnert. „Es ist ein Phänomen, dass man keine Selbst- und Nächstenliebe verspürt, man denkt nicht an die anderen, man möchte, dass es aufhört. Vor der Partie zwischen Köln und Mainz, was ironischerweise auch mein erstes Spiel in der Bundesliga war, konnte ich den Schmerz nicht mehr aushalten. Ich suchte nach Etwas, um mir das Leben zu nehmen. So überlegte ich: Ich könnte aus dem Fenster springen, doch es geht nur auf Kipp – keine Chance. Ich ging zum Minikühlschrank trank zehn Kurze und ein Hefeweizen und zerbrach die Flaschen und schnitt mir in die Arme.“ Zum Glück für Rafati wurde er rechtzeitig von seinen Assistenten gefunden und überlebte den Suizidversuch.

In der zweiten Halbzeit sprach er über das Leben danach. Seither geht er gestärkt aus dieser Leidenszeit seines Lebens hervor. Die Therapie, die er vor dem Selbstmordversuch „so unglaublich hasste“ habe ihm sehr geholfen. Auch seine Familie und Bekannten haben ihn zurück zur alten Lebensfreude gebracht. Rafati zog seine Schlüsse aus diesem Abschnitt seines Lebens und ist erfolgreich als Motivationstrainer aktiv. Er münzte seine negative Vergangenheit zum Positiven, um Präventionsstrategien zu vermitteln. Aus seinen eigenen Erfahrungen hat der ehemalige Schiedsrichter Tipps gegen den Leistungsdruck entwickelt und weiß Sätze wie: „Ich kann nicht mehr, ich habe einen Fehler gemacht. Ich brauche Hilfe.“ sind sehr stark in solchen Situationen. Des Weiteren solle man sich nicht von anderen beeinflussen und lenken lassen, denn „man schreibt sein Drehbuch selbst“ so Rafati. Er plädiert auf eine positive Psychologie und die im Leben wertvollen Ereignisse zu schätzen und sich „dafür Zeit zu nehmen“.

„Man darf hinfallen, das gehört zum Leben.“ Wichtig sei, auch wieder aufzustehen. Leistungsdruck und Konkurrenzdenken entstehe meist in einem selbst, sagt der 47-Jährige. Man müsse lernen, all das loszulassen, sein Bestes geben und damit und mit sich selbst zufrieden sein. Der griechische Philosoph Aristoteteles sagte einmal: „Wir können den Wind nicht ändern, aber das Segel anders setzen.“

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