Lübeck – Am Mittwoch setzte sich HL-SPORTS in einem Kommentar kritisch mit dem Auswahlverfahren des Schleswig-Holsteinischen Fußballverbandes für die Fußballerin und den Trainer des Jahres 2017 auseinander. Die geäußerte Kritik erhielt dabei Zustimmung aus Reihen von Spielerinnen und deren Übungsleitern. So äußerte beispielsweise Marc Hempel, Trainer der Frauenmannschaft des SV Meddewade, öffentlich sein Unverständnis über die Vorauswahl. Dieser Kritik stellte sich Karsten Tolle (Foto), der Pressesprecher des SHFV und Leiter der Wahlen zum Fußballer, zur Fußballerin und zum Trainer des Jahres, bereits in den sozialen Netzwerken und am Freitag im Interview mit HL-SPORTS. Wir sprachen mit ihm über den Wahlablauf, die kritischen Stimmen, mögliche Verbesserungen und subjektive Sichtweisen.

HL-SPORTS: Karsten Tolle, HL-SPORTS hat in einem Kommentar am Mittwoch Kritik am Auswahlverfahren zur Fußballerin und zum Trainer des Jahres geübt, weil die Auswahl der Spielerinnen und Übungsleiter wenig nachvollziehbar ist. Wie stellen sich Auswahl und Jury zusammen?

Karsten Tolle: „Die Jury besteht aus insgesamt 14 Personen. Darunter sind acht Vertreter lokaler Medien und Verlage, fünf Stimmen entfallen auf den SHFV und eine Stimme auf unseren Partner NordwestLotto. Für den SHFV haben unser Präsident Hans-Ludwig Meyer, die Vizepräsidentin Spielbetrieb und Vorsitzende des Frauen- und Mädchenausschusses Sabine Mammitzsch, der Vorsitzende des Ausschusses Qualifizierung, Andreas Heumeier, unser Sportlicher Leiter Björn Rädel und ich selbst. Was die Auswahl der zu Wählenden angeht, so sind die Jury-Mitglieder völlig frei in ihrer Entscheidung. Einzige Bedingung ist, dass ein Kandidat mindestens ein halbes Jahr im Bereich des SHFV gespielt oder als Trainer tätig gewesen sein muss. Ansonsten kann jeder gewählt werden. Wir stellen den Jury-Mitgliedern lediglich eine Liste von 21 Spielerinnen von der Oberliga aufwärts zur Verfügung, welche aber beliebig erweiterbar ist. Jedoch dürfen es nur maximal Drei aus einem Verein sein.

HL-SPORTS: Dies führt uns zu der Frage, warum sich bei den Frauen so ein Ungleichgewicht eingestellt hat. Acht von zehn Nominierten bei den Frauen spielen beim SV Henstedt-Ulzburg und Holstein Kiel oder haben dort gespielt. Was entgegnen sie der Kritik, dass dies doch sehr einseitig sei?

Karsten Tolle: „Zunächst einmal sind der SVHU und Holstein die beiden klassenhöchsten Mannschaften bei den Frauen. Dass diese mehr im öffentlichen Fokus stehen als ein Oberligist, liegt wohl in der Natur der Sache. Aber wir machen den Jury-Mitgliedern keine Vorschriften, was ihre Wahl betrifft. Lediglich die Tatsache, dass die Nominierten ein halbes Jahr im SHFV gespielt oder trainiert haben müssen sowie die Beschränkung auf drei Vorschläge pro Verein musste eingehalten werden.“

HL-SPORTS: Man wird dabei aber das Gefühl nicht los, dass zumindest ein großes Desinteresse gegenüber dem Frauenfußball herrscht. Zumindest ist es von dem ein oder anderen Jury-Mitglied bekannt.

Karsten Tolle: „Für den SHFV kann ich das verneinen, wir wählen nach bestem Wissen und Gewissen aus, vor allem unter Betrachtung der sportlichen Leistung. Was die Mitglieder aus Reihen der Journalisten angeht, da sollten sie dann in den einzelnen Redaktionen nachfragen. Da haben wir keinen Einfluss auf die Entscheidung. Uns war es nur wichtig, dass Schleswig-Holstein abgedeckt ist und die entsprechenden Medienhäuser über den Frauenfußball berichten. Und ich denke, das ist uns gelungen.“

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HL-SPORTS: Dennoch besteht Kritik, dass beispielsweise von der zweiten Mannschaft des SV Henstedt-Ulzburg keine Spielerin in der Auswahl zu finden ist und auch andere Fußballerinnen mit vorzüglichen Leistungen nicht in die Top Ten aufgenommen wurden. Wie stehen Sie dazu?

Karsten Tolle: „Bei unserem amtierenden Oberliga-Meister ist die Frage schnell beantwortet. Sie haben leider das Pech, dass die erste Mannschaft in Liga zwei spielt und die Jury sich für gleich drei Spielerinnen aus dieser Truppe entschieden hat. Da greift dann unsere Regel, dass nur drei Akteure pro Verein pro Kategorie zugelassen werden. Ist sicherlich in diesem Fall etwas unglücklich, aber bei den Männern hätten es aufgrund der sportlichen Leistungen sicherlich auch mehr als drei Spieler von Holstein Kiel verdient gehabt, zur Wahl zu stehen. Ansonsten ist eine Auswahl auch immer eine subjektive Betrachtung. Und es ist ja nicht so, dass alle einstimmig die Top Ten gewählt haben, sondern dass die Zehn mit den jeweils meisten Stimmen nun in der Endausscheidung sind. Da wird es immer Diskussionen geben – was bei einem demokratischen Prozess aber auch völlig normal und legitim ist.“

HL-SPORTS: Es standen bzw. stehen auch Spielerinnen zur Auswahl, die schon gar nicht mehr im Bereich des SHFV aktiv sind oder weniger als 50 Prozent der möglichen Spiele gemacht haben. Ist dies nicht unfair gegenüber jemandem, der die doppelte Anzahl an Spielen mit herausragenden Leistungen gemacht hat?

Karsten Tolle: „Wir haben uns bewusst dafür entschieden, dass jemand mindestens ein halbes Jahr in unserem Bereich aktiv sein muss. Wenn die Leistungen aus einem halben Jahr die Jury überzeugen, ist das dann ein normaler demokratischer Vorgang. Es ist daher vollkommen normal, dass es Härtefälle gibt, die es nicht geschafft haben oder wo es bei einer Auswahl zu Diskussionen kommt. Zumal man die Leistungen von Spielerinnen, Spielern und Trainern aus völlig verschiedenen Spielklassen sehr schwer objektiv bewerten kann.“

HL-SPORTS: Kritik kommt auch bei der Auswahl der Trainer. Der Name Christian Pusch vom SV Henstedt-Ulzburg fällt häufiger, der kontinuierlich seine Mannschaft aufgebaut hat und in die Regionalliga geführt hat. Dafür werden dann Trainer aufgeführt, die titel- oder erfolgstechnisch gesehen, wenig bis gar nichts erreicht haben. Wie erklären Sie diese Auswahl? Der Auswahlmodus bleibt, bei allem demokratischen Ansatz, doch etwas undurchsichtig, denn das Gefühl, dass ein gewisser „Klüngel“ oder ein gewisses Desinteresse bei der Fußballerinnen-Wahl vorhanden ist. Wäre es da nicht sinnvoller, diejenigen abstimmen zu lassen, welche am Besten wissen, wer die Beste aus den eigenen Reihen ist – sprich die Spielerinnen und Trainer? Ähnlich wie bei der Wahl zum Weltfußballer könnte man doch die Trainer und Kapitäninnen nach ihrer Wahl fragen.

Karsten Tolle: „Wir haben ja den Modus schon geändert. So wird bei Endabstimmung das Ergebnis aus drei Teilen ermittelt. Zu je einem Drittel setzt sich das Ergebnis aus den Stimmen der Jury und der VSHS, aus dem Online-Voting und aus der Abstimmung der Trainer, die in der Oberliga oder höher trainieren, zusammen. Wir werden dies alles aber genau analysieren und gegebenenfalls für die Abstimmung 2018 Änderungen vornehmen. Ob und in wieweit wir Änderungen vornehmen, werden wir dann mit der Zeit sehen.“

HL-SPORTS: Herr Tolle, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

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