Das war mein Tag der Ernüchterung

WM-Kolumne „Mein Ka-Tag“ von Wolfgang Stephan

Ich bin mit der Hoffnung nach Katar gereist, dass sich die Stimmung rund um die WM in Richtung Fußball-Begeisterung drehen wird. Aber leider gibt es bisher nichts, was sich positiv in Rechnung stellen lässt. Das Eröffnungsspiel war ernüchternd, die Parolen von Respekt und Toleranz, die zu hören waren, stellten sich spätestens am Montagmittag als Feigenblätter heraus.

Als einer, der mit Wohlwollen nach Katar gereist ist, um mit einer differenzierten Schreibe über diese WM zu berichten, muss ich feststellen, dass sich das Blatt eher ins Gegenteil gewendet hat. Schon jetzt dürfte feststehen, dass das Verbot der „One-Love-Binde“ dieses Turnier überschatten wird, egal wie die Deutschen sportlich abschneiden.

Es war ein ungewollt symbolisches Bild, als DFB-Präsident Bernd Neuendorf und sein Sport-Direktor Oliver Bierhoff auf dem Rasen des Trainingsplatzes am Montagabend eine Erklärung zum Einknicken vor der Fifa versuchten. So reden Offizielle, wenn sie ein Spiel vergeigt haben. Und das hat der DFB. Auf meine Frage, ob die Nationalmannschaft wenigstens mit einem Kniefall heute ein Zeichen setzen werde, antwortete Oliver Bierhoff ausweichend. Er hätte wenigstens sagen können, nein, denn ein Kniefall würde symbolisieren, dass wir vor der Fifa eingeknickt sind.

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Dass die europäischen Fußball-Großmächte England, Belgien, Holland und Deutschland nicht den Mut haben, der Fifa zu zeigen, dass sie sich ihren Einsatz für Menschenrechte nicht verbieten lassen, ist feige. Gelbe Karte, Punktabzug, na und?

Im schlimmsten Falle wäre nach der Vorrunde Schluss gewesen. Aber sie hätten aufrecht in den Flieger nach Hause steigen können. Leider haben die Europäer nicht erkannt, dass es in diesem Fall um mehr als nur um Fußball geht. Mit der Erkenntnis, dass sie ein Stückweit ihrer Glaubwürdigkeit geopfert haben, sind wir zurück nach Doha gefahren. Ernüchtert. Am Abend flimmerten in einer Sportkneipe im Marriott-Hotel die historischen Bilder vom Spiel England gegen Iran über den Bildschirm. Keiner der Iran-Kicker singt aus Protest gegen das Mullah-Regime die Nationalhymne mit, obwohl das im Iran mit Gefängnis bestraft werden kann. Neben mir stehen drei iranische Frauen mit offenen Haaren, die sich in die Arme nehmen und weinen. Ich schämte mich meiner Tränen nicht.

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