Der ernüchterte Herr Flick

WM-Kolumne „Mein Ka-Tag“ von Wolfgang Stephan

Da saß er und blickte starr ins Nichts. Wie einst sein Vorgänger Joachim Löw nach dem Ausscheiden gegen Südkorea bei der WM 2018 in Kazan. Fassungslos, desillusioniert. Schon in den letzten Minuten des denkwürdigen Spiels in Doha wendete er sich vom Spielfeldrand ab, schüttelte den Kopf – und lächelte einen kurzen Moment. Wenn Trainer während des Spiels lächeln, kann das gefährlich werden. Das bedrohlichste Lächeln besaß einst Franz Beckenbauer als Trainer, es war schlimmer als Michael Corleones Kuss des Todes. Auch Flick lächelte nur, weil er fassungslos war. Ist das alles wahr? Vorne fehlte seinen Samtfüsslern der Killerinstinkt und hinten befiel dieses vorher einigermaßen gut spielende Team in den letzten 20 Minuten ein rasender Zerfallsprozess.

Hansi Flick konnte einem am Abend nach seiner verkorksten WMPremiere leidtun. Menschlich gesehen. Fachlich allerdings hat er eine erhebliche Mitschuld an der 1:2-Niederlage.

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Es war nicht das nackte Betriebsergebnis, das Flick so tief in den Abgrund der Traurigkeit blicken ließ. Es war wohl auch das Eingeständnis, dass er mit dem falschen Personal angetreten und nicht sonderlich clever bei den Auswechslungen war. Die Idee mit Nico Schlotterbeck war schlicht keine gute Idee, weil das Wort „souverän“ nicht das Attribut war, was den Beobachtern beim Blick auf sein Agieren automatisch durch den Kopf schoss. Flick sprach später von individuellen Fehlern, die so nicht passieren dürfen. Namen nannte er nicht, es bedarf aber keiner Dechiffriermaschine um zu entschlüsseln, dass die Herren Süle und Schlotterbeck zu den Personen zählten, die ganz oben auf der Fehler-Liste des Trainers stehen.

In eigener Sache gab es vom Bundestrainer am Abend keine Worte, was hätte er auch sagen können, ohne sich selbst zu belasten? Gestern Mittag zeigte sich der Bundestrainer in einer digitalen Pressekonferenz aus dem Quartier freundlich und fokussiert, ohne aber auf die Fehler im Spiel im Detail einzugehen. Was tun mit diesem traumatischen Erlebnis? Mund abwischen? Flick bestätigte, dass es in den nächsten Tagen darauf ankomme, die Spieler zu finden, die mit dem großen Druck am Sonntagabend umgehen können. Nach seiner Gestik und Mimik ist ihm sehr bewusst, dass es schon einer ganz großen Anstrengung bedarf, um am Sonntag gegen Spanien die Hypothek dieses WM-Auftaktes zu tilgen. Eine vorzeitige Heimreise droht nicht nur ihm.

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