Andy Nehlsen als Fußballer im Zweikampf mit Holstein Kiels Denis-Danso Weidlich (links), Andy Nehlsen beim Punt für die Lübeck Cougars gegen die Berlin Rebels (rechts) Foto: Collage objectivo/Marcel Krause / Lobeca

Lübeck – Fast jeder Mensch beschäftigt sich im Laufe seines Lebens mit dieser einen Frage: Was wäre, wenn? Man fühlt sich unwohl, hat den Wunsch nach Veränderung. Dann kommen allerdings auch schnell erste Zweifel: Macht es Sinn, altbewährtes über den Haufen zu werfen und einen Neustart zu wagen? Die richtige Antwort auf diese Frage kann man nur selbst liefern. Es gibt viele Argumente für einen Neustart und auch viele dagegen. Ein Neuanfang benötigt allerdings grundsätzlich immer viel Mut und daher ist es umso schöner zu sehen, wenn dieser belohnt wird.

Die Vergangenheit im Fußball

Eine solche Erfolgs-Geschichte, eines mutigen Neuanfangs, möchten wir heute beleuchten. Andreas „Andy“ Nehlsen ist den hiesigen Fußball-Freunden mit Sicherheit ein Begriff. Bereits zur Jahrtausendwende startete Nehlsen seine Fußball-Karriere beim FSV Borussia Lübeck. Den Großteil seiner Jugend spielte er für den ATSV Stockelsdorf sowie den MTV Ahrensbök.

Beim ATSV Stockelsdorf machte Nehlsen dann auch die ersten Schritte im Herren-Fußball, hatte obendrein sein Karriere-Highlight mit dem Achtelfinal-Duell im SHFV-LOTTO-Pokal gegen den damaligen Dritt-Ligisten Holstein Kiel. Im weiteren Verlauf spielte er jeweils eine Saison beim VfL Bad Schwartau sowie dem TSV Pansdorf, ehe es ihn zum TSV Travemünde zog, bei dem er nach insgesamt vier weiteren Jahren schließlich im Sommer 2022 die Fußballschuhe an den Nagel hing.

Auch hier stellt sich erneut die Frage: Was wäre, wenn der technisch versierte Linksfuß nicht so häufig mit Verletzungsproblemen zu kämpfen gehabt hätte? Diese Frage wird sich aus Sicht des Fußballers Nehlsen leider nie beantworten. Abgeschworen hat er dem Fußball dennoch nicht in Gänze, seine Liebe für den Hamburger SV blieb auch über das Karriereende hinaus.

Der Neuanfang im American Football

Das Positive: Es gibt für Nehlsen keinen Grund, verpassten Chancen im Fußball nachzutrauern. Denn er zeigte Mut. Fast zwei Jahrzehnte Fußball tauschte der 28-Jährige in diesem Jahr gegen den Neuanfang im American Football ein. Und was für ein Neuanfang das werden sollte.

Ab April 2022 schloss sich Nehlsen, der derzeit als Justizhelfer beim Amtsgericht Lübeck tätig ist, als Kicker und Punter den Lübeck Cougars an. Mit 7 Siegen und 3 Niederlagen schlossen die Berglöwen die Saison der GFL 2 Nord als Tabellenvierter ab. Nehlsen erzielte hierbei mit 37 Punkten die zweitmeisten im gesamten Kader der Cougars, wurde in seiner Rookie-Saison sogar zum Special Teams MVP gekürt.

Welchen Einfluss seine Jugendliebe und mittlerweile Ehefrau Kim, sowie die gemeinsamen Flitterwochen darauf hatten und welche Unterschiede der Tampa Bay Buccaneers Fan zwischen beiden Sportarten festgestellt hat, erfährt man im folgenden Interview.

HL-SPORTS: Hallo Andy, viele unserer Leser kennen dich dafür, dass du das Runde ins Eckige bringst. Jetzt hast du schon eine ganze Saison American Football hinter dir. Was hat dich dazu gebracht Schienbeinschoner gegen Shoulder-Pads einzutauschen?

Andreas Nehlsen: Es fing damit an, dass ich den Fußball in meiner letzten Verletzungspause nicht vermisst habe. Durch die USA-Urlaube habe ich einfach immer mehr Interesse am American Football entwickelt und spiele ja auch schon seit einiger Zeit Flag-Football bei den Stockelsdorf Pirates. Da Eric Schlomm ja bekanntlich ebenfalls in der Vergangenheit die Sportart gewechselt hat, kam ich auf die Idee, es vielleicht einfach mal selbst auszuprobieren.

HL-SPORTS: Privat konnte man deine Begeisterung für American Football immer mal wieder vernehmen, nicht zuletzt durch Trips in die USA mit entsprechenden Besuchen von NFL-Spielen. Wie kam es dazu, dass Football so schnell eine solch wichtige Rolle in deinem Leben eingenommen hat?

Andreas Nehlsen: Als ich die Flitterwochen mit meiner Frau Kim in Florida verbracht habe und natürlich auch unbedingt ein NFL-Spiel sehen wollte, hat mich das Football Fieber erst recht gepackt. Die ganze Atmosphäre in und ums Stadion herum ist einfach beeindruckend!

HL-SPORTS: Du hast zwei Jahrzehnte Fußball gespielt, jetzt auch einige Erfahrungen im Herren-Bereich des deutschen Footballs, in der GFL 2, gesammelt. Was sind die größten Unterschiede zwischen diesen beiden Mannschafts-Sportarten?

Andreas Nehlsen: Die Saison ist leider immer schneller vorbei als beim Fußball. Außerdem wird beim American Football positionsspezifisch trainiert. Die physischen Voraussetzungen sind nochmal anders, durch die härteren Tackles. Bei Heimspielen treffen wir uns 3,5 bis 4 Stunden vor Kickoff. Beim Fußball waren es meist nur 1,5 Stunden vorher. Das Spiel geht durch die ganzen Unterbrechungen länger, fast dreimal so lang wie ein Fußballspiel. Nicht zu vergessen ist die Stimmung bei den Spielen, ob es jetzt im Team selbst an der Sideline ist oder der unglaubliche Support der Zuschauer am heimischen Buniamshof. Der Football ist aus meiner Sicht familiärer.

HL-SPORTS: In der Vergangenheit als Fußballer, warst du häufiger von Verletzungen geplagt. Der Schritt in eine Kontakt-Sportart wirkt da auf den ersten Blick riskant. Was für Erfahrungen hast du gemacht und wie riskant ist Football wirklich?

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Andreas Nehlsen: Als Kicker bzw. Punter ist es ja im Idealfall so, dass ich keinen Kontakt mit dem Gegner haben werde. Ich muss mich in dem Fall auf meine Mitspieler verlassen und einfach mein eigenes Ding durchziehen. In der Saison kam es aber auch schon zu dem einen oder anderen Kontakt mit einem Gegenspieler, so dass man sogar ein offizielles Tackle in meiner Statistik findet. Um Verletzungen vorzubeugen, haben wir bei den Cougars Athletiktrainer, die positionsabhängige Trainingspläne entwickelt haben. Das minimiert das Verletzungsrisiko.

HL-SPORTS: Wer so viel Zeit in die Technik seiner Füße gesteckt hat, für den liegt die Position des Kickers selbstverständlich nahe. Aus welchem Grund genau hast du dich für diese meist eher unauffällige, aber dennoch enorm wichtige, Position entschieden?

Andreas Nehlsen: An erster Stelle stand natürlich das minimierte Verletzungsrisiko und dass ich weiß, wozu ich mit meinem linken Fuß imstande bin. Die Position als Kicker ist auch nicht ganz ohne, weil man nur diesen „einen Schuss“ hat. Der muss sitzen! Dabei ist es egal, ob es ein Kickoff ist, der an einer bestimmten Stelle platziert werden soll, ein Extra-Punkt (PAT) von der 20 Yard-Linie oder ein spielentscheidendes Field Goal. Da muss man alles andere um einem herum in dem Moment ausblenden. In der einen Situation kann man als Held gefeiert werden, in der anderen kann man durch ein verschossenes Field Goal oder einen vergebenen Extra-Punkt kurz vor Schluss wieder der Depp sein.

HL-SPORTS: Der Einstand bei den Cougars hätte, dank der zweit-meisten Scorer-Punkte des Teams sowie als Special Teams MVP, vermutlich kaum besser laufen können. Wie bewertest du die Leistung deiner Rookie-Saison?

Andreas Nehlsen: Wer mir vor der Saison gesagt hätte, dass ich so viele Punkte score und sogar Special Team MVP werde, dem hätte ich den Vogel gezeigt. Niemals hätte ich gedacht, dass ich im ersten Jahr gleich so große Fortschritte mache. Dementsprechend bin ich schon sehr zufrieden mit meiner Leistung. Man hat von Training zu Training gemerkt, wie ich mich steigere und die Forderungen von meinem Special-Teams-Coach Mark Holtze gut umsetze. Ich bin ihm auch sehr dankbar dafür, dass er mir so viel Zeit gegeben hat, wie ich brauchte. So hat er mir ein wenig den Druck von den Schultern genommen.

HL-SPORTS: Deinem Team hast du insbesondere mit den insgesamt 37 Punkten gut unter die Arme greifen können. Die Berglöwen landeten am Ende der Regular Season, mit 7 Siegen und 3 Niederlagen aus 10 Spielen auf dem 4. Platz der GFL 2 Nord-Staffel. Seid ihr mit diesem Ergebnis zufrieden?

Andreas Nehlsen: Unter den Umständen, die wir mitten in der Saison hatten, können wir definitiv zufrieden sein. Klar wären wir gerne auf Platz 1 gelandet, das war auch unser Ziel. Doch in den Duellen gegen die Langenfeld Longhorns und die Hildesheim Invaders hat man leider den Kürzeren gezogen. Diese Niederlagen waren ausschlaggebend für unseren 4. Tabellenplatz.

HL-SPORTS: Du bist schon nach deiner ersten Saison in die Top 50 Liste der All-Time-Scorer der Lübeck Cougars gerückt. Wie sehen deine persönlichen Ziele für die kommende Saison aus und wo darf man dich dann in der Statistik suchen?

Andreas Nehlsen: Oh, das ist sogar eine Info, von der ich bisher noch nichts gehört habe. Das freut mich sehr. Mein Ziel ist es natürlich, das bestmögliche rauszuholen, dazu im Training weiterhin Fortschritte machen und meine Routinen zu verbessern. Gleichzeitig möchte ich natürlich auch von der Erfahrung des neuen Head-Coaches profitieren. Dennoch möchte ich gerne mehr Field Goals schießen dürfen und meine PAT-Quote auf 100% verbessern. Der Fokus in der Off-Season wird auf den Punt gelegt.

HL-SPORTS: Die Cougars haben zuletzt bekannt gegeben, dass sie sich besonders professionell für die Saison 2023, mit neuem Head-Coach, jungen Talenten und doppelt so großem Etat, aufstellen wollen. Da man diese Saison bereits sehr erfolgreich gespielt hat, klingt das nach einer Kampf-Ansage um den Titel. Wie sehen eure Ziele für die kommende Saison aus?

Andreas Nehlsen: Das wir nächste Saison einen Headcoach haben, ist auch für mich nochmal etwas Neues. Letzte Saison war das ja nicht der Fall. Das gesamte Team kann von seiner Erfahrung einen großen Schritt machen. Was wir für Ziele nächstes Jahr haben, wird sich im Laufe der Off-Season zeigen. Erst recht Anfang 2023, wenn es wieder intensiv ins Training geht. Erstmal ist es wichtig, dass wir als Team dem neuen Coach einen einfachen Einstieg ermöglichen und wir gut harmonieren.

HL-SPORTS: Die Wege im Football sind manchmal sehr kurz. Ehemalige Cougars-Spieler haben es zu Top-Teams aus der ELF geschafft oder diese sogar, wie Myron De Vane (ELF-Sieger mit Frankfurt Galaxy), gewonnen. Patrick Donahue durfte sogar mal bei den Green Bay Packers mittrainieren. Wie groß sind deine Ambitionen, selbst nochmal ein solches Level zu erreichen?

Andreas Nehlsen: Wie meine Ambitionen sind, wird man im Laufe der Zeit sehen. Nach bisher nur einem Jahr als Kicker/Punter kann ich das noch nicht sagen. Erstmal gilt es, meine Leistung zu bestätigen bzw. zu verbessern. Ob und wohin die Reise noch gehen könnte, wird man in der nächsten Zeit sehen. Wer gerade die letzten Wochen in der NFL beobachtet hat, sieht bei den Kickern, dass es manchmal schneller gehen kann, als man denkt.

HL-SPORTS: Vielen Dank für deine Zeit und viel Erfolg für die Zukunft!

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