HSV-Training (Foto: Lobeca/Seidel)

Lübeck – Eine weitestgehend harmonische Mitgliederversammlung beim Hamburger SV? Moment, Harmonie und HSV passt doch gar nicht zusammen? Anscheinend doch und es ist durchaus wünschenswert, dass der einst so große Club endlich zur Ruhe kommt. Vor allem seinen Fans ist es zu gönnen, dass der HSV schnellstmöglich ins Oberhaus zurückkehrt. Und mitten hinein fällt die Ansage von Vorstandsboss Bernd Hoffmann, dass sein Verein in vier bis fünf Jahren auf einer Stufe mit Schalke , Frankfurt und Gladbach steht. Während dies von den Mitgliedern eifrig beklatscht wird, bekommt man als neutraler Beobachter zumindest das Stirnrunzeln. Ist diese Aussage nun eine Wunschvorstellung oder mutig?

Hamburg, Odessa und die Welt

Nach aktuellem Stand zählen 33 Städte in Europa mehr als eine Million Einwohner, dürfen sich also als Metropole betiteln. 28 dieser Städte haben mindestens einen Fußballclub in der ersten Liga. Aber welche fünf sind nicht vertreten? Ich wette darauf kommt keiner und wenn doch: Herzlichen Glückwunsch. Wir kürzen ab: es sind Odessa in der Ukraine, die russischen Städte Woronesch, Perm sowie Wolgograd – und Hamburg! Mit Sicherheit kein schöner Vergleich, denn schließlich vergleicht man sich in der Elbmetropole lieber mit Paris, London oder zumindest mit Barcelona und Wien. Und so hat der HSV als Fußballaushängeschild gefälligst in Liga eins zu spielen. Mehr noch: er hat eine gute Rolle zu spielen, um Besuche in Barcelona, London oder Lissabon zu ermöglichen. So und nicht anders ist das Selbstverständnis an der Elbe. Vor diesem Hintergrund ist Hoffmanns Ansage nur verständlich.

Das Potential ist da

Und ja, man muss konstatieren: grundsätzlich hat der HSV das Potential eine gute Rolle in Liga eins zu spielen. Eine Studie aus dem Jahr 2015 zeigt, dass sich (hochgerechnet) 1,83 Millionen Menschen als Fan der Hamburger betrachten. Mehr haben nur die Bayern und der BVB. Mit Hamburg und seiner Wirtschaft hat mein gesundes Potential, was das Finanzielle angeht.. Während es die anderen Clubs in der Hansestadt durchaus Schwierigkeiten haben, um Sponsoren zu finden, kann der HSV aus dem Vollen schöpfen. Dazu hat man eine solide Nachwuchsarbeit, großartige Fans und ein tolles Stadion. Von daher gehört der HSV definitiv in die Beletage des deutschen Fußballs. Und sportlich ist man ja auf einem guten Wege, belegt Rang zwei und hat alles selbst in der Hand. Doch muss man gleich utopisch anmutende Ziele ausgeben?

Auch andere brauchten länger

Mal ganz davon abgesehen, dass den HSV große Schulden plagen (okay das betrifft auch andere Vereine) und der Etat, speziell bei den Spielern, kräftig eingedampft wurde, so spielen die genannten Vereine Schalke, Gladbach und Frankfurt nicht nur fußballerisch in ganz anderen Ligen. Nehmen wir das Beispiel Gelsenkirchen: nach dem Wiederaufstieg 1991 haben sich die Knappen erst zehn Jahre später endgültig in der oberen Hälfte etabliert. Schneller ging es bei Borussia Mönchengladbach. Wiederaufstieg 2008, dauerhaft in der oberen Tabellenhälfte seit 2012. Aber auch die Fohlenelf hatte Dusel, denn die Relegation 2011 hätte durchaus anders ausgehen können. Lediglich bei der Frankfurt Eintracht ist der Weg etwas anders. Nach Aufstieg (2012) folgten Europapokal (2013), der Fastabsturz (2016) und die Rückkehr ins europäische Geschäfte (2018). Hier war es mehr ein Auf und Ab. Und dennoch haben viele die Eintracht als wirtschaftlich gefestigten Kandidaten für die oberen Tabellenhälfte im Blick. Unter dem Strich ist der HSV von allen drei Clubs aktuell weit entfernt.

Anzeige
AOK

Noch ist man nicht aufgestiegen

Von daher ist Hoffmanns Aussage gefährlich. Man darf nicht vergessen, dass der Aufstieg in die erste Liga keine Formsache ist. Sechs Punkte auf Greuther Fürth (Rang acht) sind schnell verspielt und wie viele andere Clubs aus der Spitzengruppe auch, zeigte sich der HSV fußballerisch nicht immer erstligareif. Wenn es klappt ist gut, wenn es nicht klappt, darf es aber keine Überraschung sein. Natürlich macht ein Aufstieg (vor allem finanziell) mehr und vieles möglich, doch man sollte sich darüber im Klaren sein, dass der HSV bei Wiederaufstieg mindestens im ersten Jahr zu den Abstiegskandidaten zählt. Und bekanntlich ist ja erst das zweite Jahr das Schwere….

Fragt mal in ein paar Jahren

Dennoch ist eine Entwicklung, dass man ab 2023/24/25 dauerhaft ein Wörtchen um die Europapokalplätze mitreden darf,möglich. Wenn man denn in kritischen Phasen ruhig bleibt. Wenn man einen soliden Plan. Und sich vor allem nicht von außen reinreden lässt. An allem bleiben aber Zweifel, denn nicht immer hat man in der Vergangenheiten (mit oder ohne Hoffmann) wirtschaftlich und sportlich gut entschieden. Die abschließende Beurteilung, ob die Ansage mutig oder eine Traumvorstellung war, wird man erst in ein paar Jahren treffen können. Oder vielleicht schon im kommenden Sommer…

Anmerkung: der Kommentar spiegelt die Meinung des Autors und nicht der gesamten Redaktion wider.

Gefällt Dir unsere journalistische Arbeit?

Dann unterstütze uns hier mit einem kleinen Beitrag. Danke.

- Anzeige -