Polizei nach Derby-Einsatz stark unter Beschuss – Gewalt und Chaos am Millerntor hat ein Nachspiel

Fangruppierungen des FC St. Pauli und HSV fordern Aufklärung

Polizeieinsatz beim Derby zwischen FC St. Pauli und HSV. Foto: Lobeca

Hamburg – Das Stadtderby zwischen FC St. Pauli und Hamburger SV wird ein Nachspiel abseits des Platzes haben. Die Polizei steht dabei in Verdacht, unverhältnismäßig gehandelt zu haben. Dabei wird vonseiten beider Vereine Aufklärung gefordert.

Polizeigewalt gegen „Rotsport St. Pauli“?

Vor der Partie kam es direkt vor dem Stadion zu einem Zusammenstoß von St. Pauli-Anhängern und Beamten. Die Fangruppe „Rotsport St. Pauli“ soll dabei versucht haben, den Derbymarsch der HSV-Anhänger anzugreifen. Die Polizei schritt ein, unterband dieses und wendete dabei massive Gewalt an. Videos belegen das Vorgehen der Beamten, das brutal aussah (HL-SPORTS berichtete). Polizeisprecherin Sandra Levgrün gab im Nachgang an, dass die Aktionen nun geprüft würden.

Strafverfahren eingeleitet

Die Fanclub-Sprecher des FC St. Pauli gehen mit den Beamten hart ins Gericht und verurteilten das Vorgehen der Beamten. Das Dezernat Interne Ermittlungen leitete bereits ein Strafverfahren ein. Innensenator Andreas Grote bestätigte dieses Anfang der Woche in einer Stellungnahme. Er meldet Zweifel an der Verhältnismäßigkeit des Einsatzes an.

Mann stürzt von Tribüne

Die Polizei gab danach eine Pressemitteilung heraus, die die Vorfälle wiedergibt:

„Das Zweitligaderby am vergangenen Freitag war aus polizeilicher Sicht ein großer und anspruchsvoller Einsatz. Mehr als 1.400 Einsatzkräfte waren erforderlich, um die Sicherheit der Zuschauerinnen und Zuschauer zu gewährleisten. Das Ziel der strikten Fantrennung, um gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Fangruppierungen zu verhindern, ist umgesetzt worden.

Nachdem der Fanmarsch der HSV-Anhänger gegen 16 Uhr die Glacischaussee erreicht hatte, rannten aus Richtung des Fanladens des FC St. Pauli über die Stadionreihe kommend sowie aus Richtung des Harald-Stender-Platzes über die Günter-Peine-Twiete kommend insgesamt zirka 250 Anhänger des FC St. Pauli über das Heiligengeistfeld in Richtung Glacischaussee und somit gezielt in Richtung des Fanmarsches. Die Personen waren zahlreich dunkel gekleidet. Auch Vermummung wurde seitens der Einsatzkräfte wahrgenommen, darunter zahlreich rote über Mund und Nase gezogene Schals. Nach polizeilicher Bewertung stand eine unmittelbar bevorstehende körperliche Auseinandersetzung, welche offenkundig seitens der St. Pauli-Fans gesucht wurde, unmittelbar bevor. Aus diesem Grund erfolgte das polizeiliche Einschreiten.

Einsatzkräfte konnten diese körperliche Auseinandersetzung verhindern und in der Folge einige der Personen anhalten und in Gewahrsam nehmen. Ein im Internet zu sehendes Video zeigt eine dieser Ingewahrsamnahmen eines 57-jährigen Italieners. Hierbei setzte ein Polizeibeamter unmittelbaren Zwang ein. Die Betrachtung des Videos wirft Fragen zur Verhältnismäßigkeit der Maßnahme auf. Daher wurde von Amts wegen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und, wie in solchen Fällen üblich, zur Aufklärung des Sachverhaltes an das Dezernat Interne Ermittlungen übermittelt. Die Prüfung hierzu dauert an.

Darüber hinaus ist im Rahmen des Einsatzes bekannt geworden, dass ein 60-jähriger Mann bei einem Sturz eine schwere Hüft/Beinverletzung erlitten hat, die einen stationären Aufenthalt im Krankenhaus erforderlich macht. Die genauen Umstände des Sturzes werden ebenfalls vom Dezernat Interne Ermittlungen untersucht. Der Vorfall ereignete sich gegen 16 Uhr in der Günter-Peine-Twiete, als dort Polizeikräfte zu verhindern versuchten, dass mutmaßliche St. Pauli-Anhänger unkontrolliert auf HSV-Fans des Fanmarsches treffen. Auch hier dauert die Prüfung des Dezernats Interne Ermittlungen an.“

57-jähriger Italiener auf Video zu sehen

Dabei soll „Rotsport St. Pauli“ selbst für den Verein nicht steuerbar sein. Wie das „Abendblatt“ berichtete, kapselt sich die Gruppierung von anderen Fans ab und sei nur auf Gewalt aus. Wer rund um das Millerntor Kritik übt, würde bedroht oder selbst Gewalt ausgesetzt. Zwischen 80 und 150 Personen soll der „Schlägertrupp“ der Kiezkicker zählen. Enge Kontakte zur Bremer Hooliganszene bestehen anscheinend. Dabei sollen sich sogar „Krawall-Touristen“ anschließen. Der festgesetzte Italiener ist vermutlich als so einer zu bezeichnen. Anscheinend war er im März 2015 bei den Protesten gegen die Eröffnung des Neubaus der Europäischen Zentralbank in Frankfurt dabei, die in Ausschreitungen endeten.

Einlass-Chaos bei Gästefans

Doch auch beim HSV-Supporters-Club gingen nach der Begegnung mehrere Meldungen zu Missständen ein. In einer Stellungnahme der Fan-Abteilung des Vereins:

„Wir fordern eine unabhängige, zeitnahe und vollständige Aufklärung des Polizeieinsatzes beim Derby und dessen Verhältnismäßigkeit.

Des Weiteren möchten wir den Einlass am Gästebereich scharf kritisieren. Die baulichen Gegebenheiten am Eingang des Gästeblockes sind schon lange fragwürdig und wurden bereits von zahlreichen Fanszenen kritisiert. Die Zustände am Freitag waren besonders schlimm und hätten schnell noch deutlich schlimmer enden können.

Ein großer Teil des Gästeanhangs kam zeitgleich am verschlossenen Gästeblock an. Warum das Stadion erst 90 Minuten vor Anpfiff öffnete, ist uns nicht klar. So mussten die Fans, eingepfercht von Polizei und Zäunen, ohne Zugang zu Sanitäranlagen, warten. Eine frühere Öffnung des Stadions hätte sicherlich für Entzerrung und Entspannung gesorgt. Als es schließlich losging, wurde nur ein Zugangstor geöffnet, hinter dem zwei Kontrollen und Drehkreuze warteten. So mussten mehrere tausend Anhängerinnen und Anhänger durch ein Tor von rund drei Metern Breite. Dass sich genau an diesem Nadelöhr, gerade zu Beginn der Stadionöffnung, ein enormer Zustrom an Menschen entwickeln würde, muss im Vorfeld klar gewesen sein. Es ist der Besonnenheit aller Anwesenden und dem Einsatz unserer Kolleginnen und Kollegen von Fankultur und Fanprojekt zu verdanken, dass in dem Gedränge keine Massenpanik ausbrach. Die Konsequenzen wären dramatisch gewesen.

Zu der knappen Zeit, den wenigen Drehkreuzen und überfordert wirkendem Ordnungspersonal kamen zudem noch unlesbare Barcodes der Print-At-Home-Tickets. Uns erreichen zahlreiche Meldungen, dass es Probleme mit dem Scannen gab und damit sehr unterschiedlich verfahren wurde: Einige durften mit gültigen Tickets unter dem versperrten Drehkreuz hindurchkrabbeln. Andere wurden mit einem gültigen Gästeticket zum Heimbereich(!) geschickt. Wiederum andere erhielten die Anweisung, es doch einfach nochmal zu probieren. Das führte dazu, dass der Scanner das Ticket verweigerte, weil es ja schon einmal eingescannt wurde. Diesen Fans wurde der Einlass trotz gültiger Tickets verboten, sie mussten ihre Personalien bei der Polizei abgeben und erhalten laut Aussage der Polizei eine Anzeige wegen versuchtem Betrug.

Die Zustände am Freitag sind inakzeptabel. Wir sollten nicht warten, bis Schlimmeres passiert, sondern jetzt handeln. Daher sprechen wir mit allen Beteiligten und werden so versuchen, dass sich die Situation vor Ort ändert. Für Gästefans aller Vereine.“

FC St. Pauli reagiert

Die Gastgeber reagierten mit einer Stellungnahme, in der es wie folgt heißt: „Tatsächlich kann es vor Stadien bei einem großen Andrang und extra Polizeikräften, die dort eingesetzt werden, eng werden. Der FC St. Pauli richtete daher vor dem Spiel gegen den HSV am Gästebereich eine Pufferzone mit vier Schleusen ein. Dies war bereits am Dienstag bei einem Sicherheitsgespräch – an dem auch mehrere Vertreter des HSV teilnahmen – so kommuniziert und besprochen worden. Dort wurde auch die Öffnung des Stadions um 17 Uhr abgesprochen. Der FC St. Pauli ließ allerdings HSV-Fans früher in den Gästeblock, damit diese die Choreo vorbereiten konnten. Verzögerungen beim Einlass hatten vor allem damit zu tun, dass die Polizei noch weitere Kräfte in dem Bereich einsetzen wollte. Kurz vor dem Spiel gab es ein direktes „Kurvengespräch“ des FC St. Pauli mit HSV-Vertretern, um die Situation am Einlass zu besprechen und offene Fragen zu klären.

Der FC St. Pauli bemüht sich, allen Fans einen sicheren Besuch am Millerntor zu ermöglichen – unabhängig von den Vereinsfarben. Daher empfangen wir unsere Gäste beispielsweise mit deren jeweiligen Vereinslied. Wir erwarten allerdings im Gegenzug von unseren Gästen, unsere Stadionordnung zu respektieren und verurteilen das Verhalten von einigen HSV-Fans, die eine Toilettenanlage im Gästebereich massiv beschädigt haben. Auch sexistische Banner, wie im HSV-Block zu sehen, haben in keiner Kurve etwas zu suchen.“

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HSV-Supporters-Chef: „Blanker Hohn“

Darauf reagierte Sven Freese (Abteilungsleiter HSV Supporters Club) auf seinem Twitter-Kanal: „Menschen werden zusammengepfercht, eine Massenpanik billigend in Kauf genommen und das ist die Antwort auf Kritik? So ziemlich jeder Verein, der bei Euch spielt, beschwert sich im Anschluss über den Einlass und anstatt sich der Kritik anzunehmen, führt ihr Dinge auf, die nichts mit der Kritik des Supporters Clubs zu tun haben? Warum schreibt ihr nichts zu den veralteten und kaputten Scannern? Was haben ein Choreo-Aufbau oder das Vereinslied mit der unhaltbaren baulichen Situation zu tun? Der Satz “Tatsächlich kann es vor Stadien bei einem großen Andrang und extra Polizeikräften eng werden“ wirkt wie blanker Hohn.“

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