St. Paulis Mammut-Mitgliederversammlung: Schultz, Tariflohn, Gendern, Frauenrat und „Heuchler“

Bornemann und Göttlich erklären sich

Oke Göttlich (Präsident FC St. Pauli). Foto:; Lobeca/Marcus Kaben

Hamburg – Man hat sich vermutlich viel zur Mitgliederversammlung beim FC St. Pauli vorstellen können, aber wohl kaum eine Mammutveranstaltung mit über acht Stunden im Saal 3 des CCH in Hamburg. Verspätet startete man am Sonnabend in den ersten Tagespunkt, denn der Andrang war sehr groß.

Gewinn erzielt

Zahlentechnisch war das Geschäftsjahr 2021/2022 wieder erfolgreich. Demnach erwirtschaftete der Verein einen Konzernjahresüberschuss von fast 360.000 Euro. Im vorherigen Geschäftsjahr hatte es noch einen Verlust von rund 5,7 Millionen Euro gegeben, der vor allem durch die Corona-Pandemie bedingt war.

Pfiffe und Buhrufe für Präsidenten

Schon früh ging um die aktuelle Situation und insbesondere die vergangenen Wochen. Dabei nannte Aufsichtsratschefin Sandra Schwedler den entlassenen Trainer Timo Schultz einen „St. Paulianer durch und durch“. Als Präsident Oke Göttlich seinen Auftritt hatte und ein paar Dankeswort Richtung „Schulle“ richtete, gab es einen Zwischenruf aus dem Publikum: „Heuchler“ Pfiffe und Buhrufe begleitete seine Erklärung zum Handeln dieser Entscheidung. Er sprach dabei von Abstieg und Plänen, die möglicherweise nicht umgesetzt werden würden. An den Medien ließ er Kritik ab, denen er vorwarf, ein anderes Bild des Vereins wiederzugeben. Ebenso an ehemaligen Mitarbeitern, die Interna ausgeplaudert haben sollen. Er gab allerdings zu, dass er mit seiner sportlichen Bilanz nicht zufrieden sei. Sportchef Andreas Bornemann nahm er dabei immer wieder in Schutz.

Kiezclub und der Tariflohn

Ein überraschender Punkt war die untertarifliche Bezahlung der Mitarbeiter, doch das soll sich zukünftig ändern. Im Gegensatz zu den hauptamtlichen Präsidiumsmitgliedern, deren Bezahlung nicht bekannt wurden. Vizepräsidentin Christian Holländer verwies auf eine „Verschwiegenheitserklärung“ dazu. Es war turbulent, denn das Thema „Tariflohn“ beschäftigte die Mitglieder sehr. Zudem wurde dem Präsidium vorgeworfen, als würden sie wie der Vorstand eines eigentümergeführten und mittelständischen Unternehmens wirken.

Abstieg in die 3. Liga?

Schwedler übernahm wieder, sprach von einer „charmanten 3. Liga“ und mahnte davor, dass ein Abstieg „zu Kosten von Menschen und Inhalten“ gehen würde. Und wieder Fragen zu Schultz, ob der Aufsichtsrat zur Entlassung geschlossen zustimmte. Schwedler meinte darauf: „Wir legen die Abstimmungsergebnisse nicht offen.“

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Bornemann mit Erklärungen

Nach drei Stunden durfte dann der Sportchef ans Mikrofon und verteidigte den Rauschmiss von Schulz. Er wollte vom Trainer antworten auf die sportliche Talfahrt und bekam diese nach seiner Aussage nicht. Die Mitglieder schienen seine Beweggründe für die Entlassung nachvollziehen zu können. Und dennoch wurde klar, dass der FC St. Pauli vermutlich ein Kommunikations- und Transparenzproblem hat.

Neuer Aufsichtsrat gewählt

Nach den Berichten stand die Entlastung des Präsidiums an. 19 Gegenstimmen gab es, wobei über 1.200 Mitglieder im Saal waren. Um kurz vor 16 Uhr kam es zur Vorstellung der Kandidaten für den Aufsichtsrat. Eine Stunde später wurde gewählt. Um kurz nach 18 Uhr dann das Ergebnis: Der neue Aufsichtsrat besteht bei sieben Mitgliedern aus vier Frauen. Alle vier Kandidatinnen haben es in das Kontrollgremium des Kiezclubs geschafft. Kathrin Deumelandt (612 Stimmen), Inga Schlegel (525), die bisherige Aufsichtsratschefin Sandra Schwedler (519) und Anna-Maria Hass (322) werden nun über den Verein „wachen“. In der Minderheit sind nun die Männer mit Rene Born (335), Philippe Niebuhr (289) und Sönke Goldbeck (280). Nicht geschafft haben es Georg Margaretha (260), Joachim Weretka (129), Ali Sabetian (95), Maik Nöcker (74), Christian Anger und Christoph Schleuter (jeweils 30).

Nöcker „ausgegendert“

Besonders spektakulär war die Ohrfeige für Nöcker. Der TV-Moderator („Jung, ledig, sucht“ auf Kabel1) hatte im Vorweg schon wenig Chancen. Nach seiner Vorstellungsrede von drei Minuten fragte ihn ein weibliches Mitglied, warum er in seinen Sendungen nicht gendert. Er antwortete, dass es holprig klingt, aber immer die weibliche und männliche Form verwendet wird. Die Frau unterstellte ihm, dass er damit alle Menschen ausschließen würde, die keinem der beiden Geschlechter zuzuordnen sind. Nöcker: „Okay“. Ein anderes Mitglied unterstellte ihm eine “unsaubere Kandidatur“. Nöcker: „Jetzt mal ernsthaft? Was wollt ihr? Wollt ihr Menschen, die mal über den Tellerrand hinausgeblickt haben? Ja, ich habe für den DFB gearbeitet, aber ich weiß auch, was an diesem Verband total Scheiße ist.“

Feierabend…

Um 19.13 Uhr beendete Versammlungsleiter Kristian Heiser die Mitgliederversammlung des FC St. Pauli, der am Ende noch die Kurve bekam und eine Menge Hausaufgaben für alle Gremien parat hat.

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