Timmendorfer Strand – Neun Niederlagen in Folge, 13 Niederlagen in den letzten 14 Spielen, nur 13 Punkte in 19 Spielen – das sind die nackten Zahlen der Krise beim EHC Timmendorfer Strand. Viel erschreckender: Mit wenigen Ausnahmen sind die Niederlagen sehr knapp ausgefallen; ja, vermeidbar gewesen. Meistens hatten die Beach Boys die besseren Chancen, aber nutzten sie nicht. „Wir haben den Mist an den Schlägern“, „Wir hatten Pech“, „Die Scheibe wollte nicht rein“, „Dem Gegner fiel die Scheibe einfach vor die Füße“ – so oder so ähnlich lauteten die Aussagen aus Reihen des EHCT. Ist es wirklich nur Pech oder „reine Kopfsache“ wie Marcus Klupp sagt? Oder steckt da mehr dahinter? Der Versuch einer Analyse.

Im Tor läuft es nicht
98 Gegentore kassierten die Beach Boys bisher in dieser Saison. Das sind mehr als fünf Gegentore pro Partie. Keine Frage, so eine Flut an Toren ist nicht die alleinige Schuld der Goalies, doch Jan-Niklas Gebert und Matthias Rieck müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, zu oft daneben zu greifen. Bezeichnend sind dabei die letzten beiden Spiele. Am letzten Sonntag fing sich Gebert in den Anfangsminuten zwei Kirschen, die ein Schüler-Goalie halten muss. Und Rieck ebnete gestern mit einem vogelwilden Scheibenverlust vor dem 0:1 den Weg in die Niederlage.
Ob die Beach Boys mit weniger Torwartfehlern oben dran sein würden, ist graue Theorie, aber zwölf Punkte dürften die Patzer von „Johny“ und „Matze“ locker gekostet haben. Der Unmut wird bei den Fans jedenfalls immer größer.

Defensive hat an Qualität eingebüßt
Zugegeben, die beste Defensive hatten die Beach Boys nie, aber 98 Gegentore sind ein neuer Negativrekord. So viele Gegentore kassierte man zwar in den letzten beiden Saisons auch, aber das ist der Schnitt aus den beiden Jahren zum Saisonende!
Bleibt die Frage woran das liegt? Mit Labute, Maronese, Mund, Raknic und mit Abstrichen Pontus Levaniemi (ging ja schon zur Saisonhalbzeit 2013/14) hat man in der Abwehr sehr viel Qualität verloren. Vor allem Labute und Mund, der in Timmendorf eine starke Entwicklung genommen hat, fehlen an allen Ecken und Enden.
Die Neuen in der Abwehr haben zwar nicht enttäuscht, haben aber (noch) nicht die Qualität der Abgänge. Während Vojtech Suchomer aktuell in seiner Entwicklung stagniert, dürfte Robert Busche „stets bemüht“ im Zeugnis stehen haben, aber ab und an merkt man ihm seine 35 Lenze doch an.
Einzig Lukas Turek ist ein echter Lichtblick, gerade weil er auch Qualität für die Offensive mitbringt, aber die Last auf die Schultern eines 21-Jährigen zu verteilen, ist zu viel verlangt.

Es liegt mit Sicherheit nicht nur an den Neuzugängen oder an den Torhütern der Beach Boys, dass es defensiv nicht läuft. Neben individuellen Fehlern, vor denen beispielsweise Routinier Marcus Klupp auch nicht gefeit ist, obwohl er noch einer der besten Feldspieler der Timmendorfer ist, stimmt es im Defensivverbund insgesamt nicht. Viele Kontertore, Stürmer, die im Slot vor dem Tor nicht abgeräumt werden, sondern frei stehen und häufig ein zu langsames Umschalten lassen die gesamte Mannschaft schlecht aussehen.

Gerartz fehlt an allen Ecken und Enden
45 Tore erzielte André Gerartz in der letzten Saison für die Beach Boys. Da war eigentlich weit vor Saisonende klar, dass „Gerry“ nicht in Timmendorf zu halten ist. Dass ein Ersatz mit einem gleichwertigen Spieler kaum zu machen ist, war auch irgendwie klar, doch der Mannschaft gelingt es in Gänze nicht, den Verlust an Torgefahr aufzufangen.
235 Schüsse feuerten die Beach Boys in den letzten fünf Spielen, wo diese Statistik geführt wurde ab, trafen aber nur 14 Mal.  Zum Vergleich: die Gegner brauchen für 22 Tore gerade einmal 143 Torschüsse.

Natürlich ist offensiv Pech im Spiel. Da sind Goalies, die stellenweise über sich hinaus wachsen, da ist das Torgestänge, welches im Weg steht, oder der Verteidiger, der noch den Schläger dazwischen bekommt. Aber häufig ist es einfach Unvermögen. Wenn ein Stürmer in einem Spiel dreimal das leere Tor nicht trifft, dann fehlt etwas mehr als Schussglück.
Zudem machen es die Beach Boys im Abschluss zu kompliziert. Bis in des Gegners Drittel sieht das stellenweise richtig gut aus, doch dann suchen die Timmendorfer Spieler zu lange nach einer Lücke. Zudem wird im Slot nicht gut genug gearbeitet. Auch die gegnerischen Goalies lassen viele Scheiben prallen, nur: Zu selten steht jemand im Slot und staubt einfach mal ab.

Es fehlt folglich vor allem an Qualität, gerade wenn Spieler wie die Saggau-Brüder oder Kenneth Schnabel ihren Scoring-Touch etwas verloren haben. Da ist dann bezeichnend, dass Marcus Klupp zweitbester Punktesammler bei den Beach Boys ist – als Verteidiger!

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Führungsspieler sind kaum vorhanden
In solch einer schwierigen Situation sind es die Führungsspieler, die voran gehen müssen. Doch mit Ausnahme von Marcus Klupp, kommen die Führungsspieler ihrer zugedachten Rolle kaum nach. Patrick Saggau probiert es viel zu oft mit der Brechstange, Thorben Saggau ist phasenweise nur ein Schatten seiner selbst und Moritz Meyer ist gerade dann, wenn es nicht läuft, zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Auch abseits des Eises hat man den Eindruck, dass sich jeder mehr oder minder auf sich konzentriert und es allein versucht.

Einen positiven Lichtblick gibt es dabei auch und der heißt Jason Horst. Nicht nur, dass der 23-Jährige seine statistisch beste Saison spielt, er beweist sich auch als Vorbild, was Einsatz und Körpersprache angeht. Er versucht immer wieder seine Nebenleute zu pushen.

Welche Schuld trägt Henry Thom?
Einem Zeitungsbericht zu Folge bot Henry Thom dem Vorstand nach dem Wedemark-Spiel gestern seinen Rücktritt an. Doch welchen Vorwurf kann man dem Timmendorfer Trainer machen? Für die Kaderplanung kann er nur bedingt etwas, denn durch seinen späten Amtsantritt waren echte Gestaltungsmöglichkeiten kaum gegeben. Und mit Ausnahme von Aaron Scott war ja keiner „seiner“ Neuzugänge ein echter Fehlgriff. Dass der Vorstand einem Goalie wie Christoph Oster im Sommer eine Absage erteilte, ist mit Sicherheit auch nicht auf Thoms Mist gewachsen. Die Tore selbst schießen kann Thom auch nicht. Seine Taktik (zumindest offensiv) scheint zu funktionieren, aber der Ertrag stimmt halt nicht.
Lediglich zwei Vorwürfe kann man Thom machen. Zum einen funktionieren die Special Teams bei den Beach Boys überhaupt nicht (sowohl Unter- wie Überzahl gehören zu den schlechtesten drei Teams der Liga), zum anderen gibt er den jungen Spieler zu wenig Einsatzchancen. Dass ein Tjalf Caesar, ein Niklas Kühn oder ein Felix Dettmer keine Eiszeit in der „Crunch-Time“, also in den letzten zehn Minuten bei knappem Spielstand, bekommen, ist verständlich, doch ab und an sollten die Jungs einfach mal ins kalte Wasser geschmissen werden und vor allem Fehler machen dürfen. Dettmer bewies vor einer Woche in Hamburg, dass er durchaus ein belebendes Element sein kann.

Ein Rücktritt oder Rausschmiss des Trainers ist aber der falsche Weg. Die Mannschaft spielt ja insgesamt nicht schlecht, es sind halt Kleinigkeiten, die den Beach Boys immer wieder das Genick brechen. Und es fehlen (zumindest aktuell) die drei, vier Prozent Qualität in der Mannschaft, um Spiele zu gewinnen!

In der Summe muss man konstatieren, dass dem EHC Timmendorfer Strand sicherlich das Pech an den Schlägern klebt. Aber wenn man es nur darauf schiebt, macht man es sich viel zu einfach.
Torwartfehler haben nichts mit Glück oder Pech zu tun. Die Fehler in der Abwehr haben nichts mit Pech zu tun, sondern mit fehlender Konzentration und einem schwachen Defensivverbund. Die vielen vergebenen Chancen haben nur bedingt etwas mit fehlendem Schussglück zu tun, sondern mit fehlender Kaltschnäuzigkeit, schwacher Form und teilweise eigensinnigem Spiel.

Kurzum: die Mannschaft bringt die Qualität, die sie hat nicht auf das Eis. Das muss so langsam in alle Köpfe hinein, sonst ist der Playoff-Zug bald abgefahren! Der eine oder andere Neuzugang wäre da auch sicherlich förderlich, wenn es finanziell machbar ist.

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