Schwerin – Nach ihrem Umzug aus Aachen hatte die Holländerin Tessa Polder in Schwerin erstmals das Gefühl, wirklich in Deutschland angekommen zu sein – in Aachen gab es schlicht zu viele Landsleute, die Heimat war zu nah. Im langen Themeninterview spricht die SSC-Mittelblockerin heute über Höhen, Tiefen und Glücksgefühle.

Tessa, hast Du gute Vorsätze fürs neue Jahr gefasst?
Nein, gar nicht, da habe ich keinen Bedarf. Das ist wahrscheinlich nicht gut, weil man dann nicht das Gefühl hat, etwas im Leben ändern zu müssen.

Warum? Bedeutet es nicht, dass Du zufrieden bist, wie es ist?
Man kann es wahrscheinlich von zwei Seiten sehen. Ich bin schon glücklich mit meinem Leben, aber man kann es ja immer noch besser machen.

Ist Dein Glas eher immer halbvoll oder halbleer?
Halbvoll, definitiv. Was kommt, das kommt. Ich sehe immer das Positive, auch wenn es manchmal eine Herausforderung ist. Ich bin total gut darin, Dinge zu relativieren.

Heißt das, Rückschläge, Tiefen im Leben kennst Du gar nicht?
Doch, schon. Als ich in meinem Online-Studium zum ersten Mal überhaupt eine Prüfung nicht bestanden habe, da war ich ziemlich sauer auf mich. Ich lerne gern, es fällt mir leicht, da war es super ärgerlich, durchzufallen. Zumal ich nie weiß, wann ich wieder Zeit für die Nachprüfung habe. Im Volleyball durfte ich letzten Sommer nicht mit der Nationalmannschaft zum Finale der Nations League, obwohl ich vorher die ganze Zeit dabei war. Das war wirklich Mist.

Wäre ein Leben ganz ohne Rückschläge schöner? Oder braucht man die, um die Erfolge besser würdigen zu können?
Ich denke schon. Ganz ohne wäre es sicher netter, aber unrealistisch. Man lernt aus Rückschlägen auch mehr als aus Erfolgen.

Gäbe es einen Rückschlag, vor dem Du Angst hast, einer, der Dich aus der Bahn werfen könnte?Nein. Am Ende sind die Tiefen, die wir im Sport erleben, doch nicht lebensbedrohlich oder weltverändernd. Natürlich ist es immer super blöd, zu verlieren, besonders wichtige Spiele, nach der ganzen harten Arbeit, die wir reinstecken. Da ist man traurig. Aber nach einer Woche ist es wieder ok, wir lernen aus dieser Reise ja auch, wir sterben nicht dran. Zum Glück war ich aber auch noch nie verletzt, ich weiß nicht, wie ich darauf reagieren würde.

Ärgerst Du Dich mehr, wenn Du einen Misserfolg allein zu verantworten hast oder wenn es einen Rückschlag für das Team gibt?
Wenn nur ich allein verantwortlich bin, wie beim Studium, nagt das mehr an mir. Im Volleyball kommen meistens viele Faktoren zusammen, da liegt es nicht nur daran, wie man selbst gespielt hat.

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Wie ist das mit Erfolgen? Sind die, die Du allein erringst, dann auch schöner?
Nein, bei Erfolgen ist es umgekehrt. Natürlich bin ich stolz auf das, was ich ganz allein
geschafft habe, das fühlt sich super gut an. Aber Erfolge im Team kann man viel besser feiern, sie bringen viel mehr Freude, weil man es zusammen geschafft hat und noch lange drüber reden kann.

Welcher Erfolg war da bisher ein echter Höhenflug für Dich?
Das Champions League-Spiel gegen Conegliano war definitiv ein Highlight. Das war so ein verrücktes Spiel. Dass wir das als Team, als Underdogs gepackt haben, dass für uns alles funktioniert hat, ich selbst auch ein gutes Spiel gemacht habe, das war so cool. Normalerweise kann ich nach jedem Spiel gut schlafen, aber nach dem…

Hast Du solche Höhenflüge nur im Volleyball oder auch im Privatleben?
Privat ist es anders. Im Volleyball gibt es extreme Emotionen, Tiefen wie Höhen, aber immer
nur für eine begrenzte Zeit, es passiert zu schnell die nächste Action. Im Privatleben schlägt
es vielleicht nicht so hoch aus, aber dafür sind die Glücksgefühle beständiger. Ich habe so viele gute Freunde, denen ich wirklich nahe bin, und diese Freundschaften machen mich glücklich, nicht nur heute, sondern anhaltend.

Ganz wortwörtlich: Wie gut kannst Du mit Höhen umgehen?
Gut, so lange ich in einer sicheren Umgebung bin. Fliegen ist kein Problem. Auf einem Flug
nach Hamburg gab es mal Turbulenzen und alle waren in Panik. Ich hab früher aber mal was
über die Gründe von Flugzeugabstürzen geguckt und wusste: Wegen Turbulenzen stürzt
keins ab, mach dir keine Gedanken. Rausspringen aus einem Flugzeug würd ich aber nicht.
Auch Paragliding oder Heißluftballon würd ich nicht machen. Oder vielleicht doch, nur damit
ich danach sagen kann, ich hab’s gemacht. Es wär super beängstigend, aber auch super
cool.

Was wär der absolut größte Höhenflug für Dich?
Ich würde gern mal in der Türkei oder Italien spielen. Aber wenn ich später mal auf mein
Leben zurückschaue, könnte das Hoch auch sein, dass ich sehe, wie sehr ich als
Persönlichkeit gewachsen bin, was ich an Interessen und Wissen angesammelt habe, wie
weit mein Horizont geworden ist.

Die Mittelblockerin Tessa Polder (21 Jahre, 1,89 Meter) aus dem südholländischen Capelle
aan den IJssel kam über die holländische Talentschmiede Arnhem und Sliedrecht 2016 nach
Aachen. Im gleichen Jahr gab sie zum World Grand Prix ihr Debut in der holländischen A
Nationalmannschaft. 2018 kam die Mittelblockerin nach Schwerin.

 

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